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Titel
Deutsche Generale 1945–1990. Profession – Karriere – Herkunft


Autor(en)
Loch, Thorsten
Erschienen
Anzahl Seiten
652 S.
Preis
€ 55,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Jakob Knab, Kaufbeuren

Der Autor des gewichtigen Werkes stellt die grundlegende Frage nach dem politischen Zweck von Militär. Die Rede ist auch von Gehorsam, Eid und Verantwortung der militärischen Elite. Schon im Vorwort wird der Leser vom damaligen Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam auf „spannende Forschungsergebnisse“ eingestimmt.

Die Stärke der vorliegenden Studie ist der sozialwissenschaftliche Ansatz, da eine gewaltige Fülle an empirischen Daten zu den Herkunfts- und Karrierestrukturen der beiden Militäreliten aufbereitet und kategorisiert wird. Mit der Datenanalyse für die Generale der Bundesrepublik und der DDR werden Standards für die zukünftige Forschung etabliert. Eine anregende, spannende wie auch faktengesättigte Lektüre, auch aufgrund der Auswertung von bislang nicht bekannten Quellenbeständen, versprechen die Kapitel über die Bedeutung des Sicherheitsbüros des Zentralkomitees (ZK) der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) sowie des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) für die Personalauswahl der künftigen Militärelite. Bei diesem Aufbau des staatlich organisierten Gewaltmonopols ging es vorrangig um den zentralistischen Führungsanspruch der SED gegenüber Staat, Gesellschaft und der Nationalen Volksarmee (NVA). Bei dem Einblick in den Kulturraum des Militärischen am Beispiel der NVA fällt auf, wie häufig der Autor in seinem Buch Obristen namentlich erwähnt: Oberst Benthin, Oberst Kallmann, Oberst Möller, Oberst Raulin.

Thorsten Loch, der Autor der vorliegenden Habilitationsschrift, die vom ZMSBw in der Reihe Deutsch-Deutsche Militärgeschichte herausgegeben wurde, denkt in Anlehnung an Clausewitz den Kulturraum des Militärischen „Vom Krieg“ her, um damit die großen Kontinuitätslinien und Brüche deutscher Militärgeschichte zu beschreiben und zu deuten. Ausgangspunkt ist dabei die Niederlage in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt (1806), einer Zäsur in der deutschen Geschichte. Der Zusammenbruch von 1806, so hält Autor Loch fest, trug bereits den Keim der Erneuerung in sich; denn die von hier ausgehenden Entwicklungen seien „wirkmächtig bis in die Gegenwart“ (S. 3). Lochs vorrangiges Interesse gilt der „politischen Bedeutung des deutschen operativen, sprich militärischen Denkens, wo es um die (Wieder-)Erlangung und den Erhalt staatlicher Souveränität im komplexen politischen Machtgeschehen“ (S. 525) geht. Vom Autor wird diese absichtsvoll militäraffine historische Begründung für die politische Bedeutung deutschen militärischen Denkens angeführt: „Nach 1806 trug es dazu tatsächlich aktiv auf den Schlachtfeldern Mitteleuropas bei. Sein politischer Beitrag nach 1918 als auch nach 1945 aber gründete auf seiner Leistungsfähigkeit in den verlorenen Weltkriegen.“ (S. 526)

In geschichtspolitischer Perspektive muss an diesem verkürzten Narrativ Kritik geübt werden. Die Bundeswehr steht in der Geschichte des modernen deutschen Militärs und dessen ideellen Höhepunkt in Preußen; sie folgt direkt auf die Wehrmacht. Die langen Jahre der Geschichte Preußens und Preußen-Deutschlands werden mit dem Begriff des Militarismus gekennzeichnet, seit dem Historikertag 1953 gelten die zwölf Jahre des „Dritten Reiches“ als Jahre des „extremsten Militarismus“ der deutschen Geschichte.1 Danach verlangten „Haltung und Gesinnung“ der Wehrmacht – eine deutsche „Katastrophe“ – den „radikalen Bruch mit unserer militärischen Vergangenheit“.2 Dieses Urteil konservativer Historiker war durch den alliierten Beschluss 1945 im Potsdamer Schloss Cecilienhof vorbereitet, den deutschen „Hort des Militarismus“ ein für alle Mal zu beseitigen und daher die Wehrmacht aufzulösen. Im Blick auf die Kontinuität nach 1945 stellt sich die Frage, wie mit dieser Katastrophe umgegangen werden sollte. Der britische Historiker Ferguson formulierte seine Erkenntnis: „Wir müssen dringend aus unsern Fehlern lernen. Und zwar viel schneller als bisher.“3 Ein Element dieser Identität bildete die Ablehnung des Widerstandes gegen das NS-Regime, insbesondere die Ablehnung der politischen Ziele der Attentatsversuche wie des 20. Juli 1944; dies sei mit den Werten der Bundeswehrführung unvereinbar. Eidbrecher zählten nicht zur Tradition, Respekt vor den Befehlsgebern schon. Die Initiative zu dieser Gesinnung hatten prominente Offiziere lanciert, als sie vor dem Internationalen Gerichtshof in Nürnberg die berüchtigte „Denkschrift der Generäle“ für die „Gesamtheit des Deutschen Heeres“ vorlegten. Der Eid begründete die unantastbare Hierarchie. Das historische Vorbild war die saubere Wehrmacht. Das wurde 1956 auf der „Gründungsversammlung des neuen deutschen Offizierkorps“ in Sonthofen demonstrativ statuiert: die Wehrmacht bestimme den „Charakter der neuen Streitkräfte“, die Innere Führung wurde als „Zumutung“ abgelehnt.4

Auffallend knapp sind die Ausführungen über die psychologische Kampfführung der beiden deutschen Staaten, bei denen es um ehemalige Generäle der Wehrmacht als Funktionselite der Bundeswehr sowie der Kasernierten Volkspolizei (KVP)/NVA geht. Von Seiten der DDR wurden die bundesdeutschen „Hitlergenerale“ Heusinger, Speidel, Foertsch, Kammhuber sowie Admiral Ruge attackiert. Die Scharfmacher auf bundesdeutscher Seite legten die Finger in die Wunden der NVA, da auch ehemalige Generäle der Wehrmacht zu den Führungsgestalten zählten. Hier wurden polemische Hiebe verteilt, namentlich gegen Vinzenz Müller, Arno von Lenski sowie gegen Rudolf Bamler, einen ehemaligen Krieger der Legion Condor.5

Nirgendwo thematisiert Thorsten Loch, in welcher Weise umstrittene Generäle der Bundeswehr die Kriterien des Personalgutachterausschusses (PGA) erfüllten: Walter Gericke, Hellmut Grashey, Wilhelm Hess, Hans Kroh, Albert Schnez, Karl Wilhelm Thilo sowie Heinz Trettner. Überdies ist der historisch bedenkliche Kriegspropagandist Gericke, der von Loch nicht erwähnt wird, in der Bundeswehr immer noch traditionswürdig.6 In gleicher Weise vergeblich sucht man im Personenregister nach Wilhelm Hess, der sich bereits im hohen Norden unter Generaloberst Dietl bewährt hatte.7 Von 1962 bis 1968 war Generalmajor Hess Befehlshaber im Wehrbereich VI in München.

Zwar stößt man auf den immer noch traditionsstiftenden Konteradmiral Rolf Johannesson in einer Fußnote, aber dessen Funktion als NS-Gerichtsherr im Endsiegterror wird übergangen. Gleiches gilt auch für Admiral Bernhard Rogge, der bis März 2018 eine vermeintlich sinnstiftende Tradition begründete. Rogge wird zwar im Personenregister aufgeführt, aber seine Rolle als Gerichtsherr im NS-Endsiegterror wird nicht erwähnt. Diese Auslassungen befremden angesichts des Umfeldes, denn namhafte und ausgewiesene Fachleute (u.a. Michael Epkenhans) waren ständige Begleiter bei der Abfassung des vorliegenden Werkes. Auch manch anregender Hinweis von Sönke Neitzel, dem Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam, fand laut Autor Loch Eingang in das vorliegende Buch. Zudem wurde die Arbeit 2019 mit dem Förderpreis für Militärgeschichte der Bundeswehr ausgezeichnet. Indes: Für Loch ist es nicht der Erwähnung wert, dass folgende Führungsgestalten der bundesdeutschen Militärelite eine identitätsbildende Tradition für die Bundeswehr begründen: Heusinger (General-Heusinger-Kaserne in Hammelburg), Speidel (General-Dr.-Speidel-Kaserne in Bruchsal), Steinhoff (General-Steinhoff-Kaserne in Berlin-Gatow), Zimmermann (Admiral-Armin-Zimmermann-Kaserne in Wilhelmshaven) sowie Johannesson (Büste in der Aula der Marineschule Mürwik).

Problematisch ist eine weitere Auslassung. Zur Militärelite zählt der Autor erst die Ränge ab Generalmajor; somit finden Brigadegenerale (BrigGen) nur stichprobenartig Berücksichtigung. Keinerlei Begründung wird geliefert, warum BrigGen Winfried Vogel, ein „General mit Zivilcourage“, der die Umbenennung der Generaloberst-Dietl-Kaserne in Füssen gefordert hatte und dafür auf das Abstellgleis abgeschoben wurde, übergangen wird. 8 Noch bedenklicher ist, dass es der bundesdeutschen Elite der Militärhistoriker, die die Arbeit begleiteten, nicht aufgefallen ist, dass der in der Tat namhafte Brigadegeneral Heinz Karst von Autor Thorsten Loch übersehen wurde. Karst galt als Exponent einer damals noch starken traditionalistischen Gruppe in der Bundeswehrführung, die das von Baudissin vertretene Leitbild der Inneren Führung („Staatsbürger in Uniform“) ablehnte.

Das Fazit über dieses gewichtige Werk lautet: Die geschichtspolitischen Schwächen im vorliegenden Werk werden durch die Stärken in der soziologischen Analyse ausgeglichen. Der Anspruch, die großen Linien („Rechtfertigung der Elitenkontinuität“, S. 525) und Brüche deutscher Militärgeschichte zu erkunden und zu erhellen sowie die grundlegenden Unterschiede im militärischen Denken in Ost und West herauszustellen, wird erfüllt. Zu Recht hebt der Autor seine „letztlich westdeutsche Perspektive“ (S. 651) hervor. Laut Umschlagstext wird auch die Frage nach der „Modernisierung deutscher militärischer Traditionen“ beantwortet. Diese Erwartung wird zwar beim Leser geweckt, aber nicht erfüllt; denn der geschichtspolitischen Problematik einer an „herrschaftslegitimatorischen Aspekten ausgerichteten militärischen Traditionspflege“ (S. 17) wird leider nicht der gebührende Platz eingeräumt.

Anmerkungen:
1 Vgl. Gerhard Ritter, Das Problem des Militarismus in Deutschland, in: Historische Zeitschrift 177 (1954), S. 21–48, hier S. 21ff.
2 Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen, Wiesbaden 1955, S. 77.
3 Niall Ferguson, Katastrophen, in: Süddeutsche Zeitung, 17.12.2022, S. 54.
4 Claus von Rosen, Das Ausbildungsmodell der Gruppe „Innere Führung“ im Amt Blank. Reformplanungen für die Bundeswehr, in: Detlef Bald (Hrsg.), Militärische Verantwortung in Staat und Gesellschaft. 175 Jahre Generalstabsausbildung in Deutschland, Koblenz 1985, S. 125–147, hier S. 131ff.
5 Rolf Johannesson, Offizier in kritischer Zeit, Hamburg 2016, S. 55.
6 „Die stolzeste Erinnerung für alle Zeit bleibt aber jener Empfang beim Führer in seinem Hauptquartier. Er war für uns und damit für alle Kämpfer von Kreta höchste Anerkennung. […] Getreu dem Befehl des Führers tragen wir die Fahne voran, im unerschütterlichen Glauben an unsere heiligste Aufgabe, das ist ‚Deutschland‘.“ (Walter Gericke, Von Malemes bis Chania. Kampf und Sieg des Sturmregiments, Berlin 1943, S. 144). – 1966 wurde das Stabsgebäude am Standort Altenstadt nach Generalmajor Walter Gericke benannt.
7 Wilhelm Hess, Eismeerfront 1941. Aufmarsch und Kämpfe des Gebirgskorps Norwegen in den Tundren vor Murmansk (Die Wehrmacht im Kampf 9), Heidelberg 1956.
8 Winfried Vogel, Die Wehrmacht als Institution ist nicht traditionswürdig für die Bundeswehr, in: Truppenpraxis 3 (1990), S. 7. – Siehe hierzu auch Sönke Neitzel, Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte, Berlin 2020, S. 475.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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